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Lasst endlich die Psychologisierungen in Organisationen!

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1. Einleitung: Der Mensch im Mittelpunkt – wirklich?

In der Welt der Organisationsentwicklung sind psychologische Modelle allgegenwärtig: MBTI, DISC, Big Five, Fixed/Growth Mindset, Resilienztrainings, Spiral Dynamics, Reifegradmodelle – alle versprechen, Menschen besser zu verstehen, um Organisationen besser zu gestalten. Die zentrale Annahme: Wenn sich Menschen verändern, verändert sich auch die Organisation.

Doch diese Annahme greift zu kurz. Denn Organisationen funktionieren nicht primär über Psychologie – sondern über Strukturen, Entscheidungsprogramme und formale Erwartungen. Systemtheoretisches Denken erlaubt uns, diesen Unterschied konsequent zu machen – und bietet einen wirksameren Hebel für Veränderung.

„Organisationen bestehen nicht aus Menschen, sondern aus Kommunikationen.“
— Niklas Luhmann

2. Psychologisierung – eine moderne Form der Verantwortungsverschiebung

2.1. Wenn das Individuum für alles herhalten muss

Statt strukturelle Probleme zu analysieren, wird gerne an Persönlichkeiten „gearbeitet“: Konflikte werden zu Kommunikationsproblemen einzelner, fehlende Innovationskraft zur Folge eines zu schwachen „Growth Mindsets“. Der Effekt: Das System bleibt unangetastet, der Mensch wird zum Reparaturprojekt.

„Psychologische Modelle verschleiern die Eigenlogik von Organisationen – und machen Mitarbeiter zu Therapieobjekten.“
— Stefan Kühl

2.2. Spiral Dynamics & Reifegradmodelle: Entwicklungsillusionen

Besonders beliebt sind „entwicklungsorientierte“ Modelle wie Spiral Dynamics oder Reifegradmodelle. Sie suggerieren lineare Entwicklungsstufen – mit klaren Zuordnungen: „blau“, „orange“, „grün“, „türkis“. Doch Organisationen lassen sich nicht in farbige Schubladen stecken.

  • Sie bewerten kulturelle Muster (z. B. „grün“ = gut, „orange“ = altmodisch)
  • Sie ignorieren funktionale Anforderungen: Vielleicht braucht eine Organisation genau die Struktur, die sie hat
  • Sie fördern Management-Illusionen von Steuerbarkeit: Entwicklung wird planbar gemacht – obwohl Systeme evolutionär reagieren
„Entwicklung ist in sozialen Systemen kein Prozess vom Schlechteren zum Besseren – sondern eine Folge irritierender Kommunikation.“
— Fritz B. Simon

3. Die systemtheoretische Alternative: Organisation als eigenständiges System

3.1. Die Trennung von Mensch und Organisation

Systemtheorie (Luhmann, 1984) unterscheidet konsequent zwischen psychischen Systemen (Menschen) und sozialen Systemen (Organisationen). Menschen kommunizieren, fühlen, denken – doch Organisationen strukturieren Kommunikation. Sie entscheiden, was anschlussfähig ist – und was nicht.

Ein Beispiel:

Ein Mitarbeiter hat kreative Ideen – doch sie passen nicht zum aktuellen Projektauftrag. Die Organisation nimmt die Idee nicht auf – nicht weil der Mensch nicht „reif genug“ oder nicht „im Growth Mindset“ ist, sondern weil ihre Entscheidungsprogramme anders kalibriert sind.

„Was nicht in das System passt, wird nicht verarbeitet – unabhängig von der Qualität der Einwürfe.“
— Niklas Luhmann

3.2. Strukturen verändern – nicht Menschen

Wer Organisationen verändern will, muss nicht in die Psyche der Mitarbeitenden eintauchen, sondern an strukturelle Irritationen denken:

  • Welche Entscheidungsroutinen wirken wie?
  • Welche impliziten Rollenerwartungen stabilisieren bestehende Muster?
  • Welche Nicht-Kommunikationen verhindern Innovation?
„Die Struktur eines Systems bestimmt, was passieren kann – nicht die Einstellung der Beteiligten.“
— Fritz B. Simon

Systemische Interventionen setzen dort an, wo Wandel möglich ist: bei Verantwortung, Entscheidbarkeit und kommunikativer Anschlussfähigkeit.

4. Beispiele aus der Praxis: Zwei kontrastierende Fälle

4.1. Der MBTI-Workshop, der nichts veränderte

In einem Team herrschten Spannungen. Der Versuch: ein MBTI-Workshop zur besseren Selbst- und Fremdwahrnehmung. Ergebnis: Die Teammitglieder wussten nun, wer introvertiert, wer eher Thinking-Typ war – aber die Konflikte blieben bestehen. Warum? Weil die strukturelle Ursache – eine unklare Rollenverteilung mit widersprüchlichen Zielvorgaben – nicht bearbeitet wurde.

4.2. Strukturintervention statt Persönlichkeitsdiagnose

In einem anderen Unternehmen wurde ein ähnliches Problem ganz anders angegangen: Man analysierte die Entscheidungswege im Team, führte neue Rollenklarheit ein und sorgte für regelgebundene Kommunikation. Die Zusammenarbeit verbesserte sich signifikant – ganz ohne psychologisches Modell.

5. Fazit: Organisationen verändern sich durch Kommunikation – nicht durch Selbsterkenntnis

Psychologische Modelle sind nicht per se schlecht. Sie helfen Menschen, sich selbst besser zu verstehen. Doch in Organisationen führen sie oft zu Scheinerklärungen, Verantwortungsverlagerung und blinder Appelllogik.

Systemisches Denken ermöglicht einen anderen Zugang:

  • Organisationen als eigene Wirklichkeitsgeneratoren
  • Veränderung durch Irritation statt Intervention
  • Wirkung durch strukturierte Kommunikation statt mentaler Arbeit
„Die Organisation ist nicht krank, weil Menschen sich nicht verändern – sondern weil sie sich nicht selbst irritiert.“
— Stefan Kühl

Statt also noch das nächste „Mindset-Seminar“ oder das fünfte Farbenmodell zu buchen, lohnt sich vielleicht die Frage:

Wie entscheidet unsere Organisation eigentlich – und wie können wir das verändern?

6. Vertiefung & Praxis: Der Certified OKR Leader (COL) als konsequente Umsetzung

Wenn wir in Organisationen wegkommen wollen von Psychologisierung und hin zu strukturierter Wirksamkeit, dann braucht es Formate, die diesen Weg unterstützen – nicht mit Fokus auf Persönlichkeiten, sondern mit Fokus auf die Funktionslogik von Organisationen.

Genau dafür haben wir bei die.agilen das Format Certified OKR Leader (COL) entwickelt.

Der COL ist kein Persönlichkeitsentwicklungsseminar – und will es auch gar nicht sein. Stattdessen orientiert sich der COL konsequent an den Prinzipien der Systemtheorie und vermittelt praxisnah:

  • wie Organisationen entscheiden, nicht wie Menschen fühlen
  • wie sich Zielsysteme strukturell verankern lassen – jenseits von Appellen
  • wie OKR nicht als Tool, sondern als Kommunikationssystem verstanden wird
  • wie man Irritationen erzeugt, statt „Motivation zu schulen“
  • wie sich Verantwortung, Transparenz und Klarheit systematisch herstellen lassen
Der Certified OKR Leader befähigt nicht zu mehr Empathie, sondern zu mehr Struktur. Nicht zu mehr Menschenkenntnis, sondern zu besserer Beobachtung organisationaler Dynamiken.

Die Inhalte basieren auf über 15 Jahren Erfahrung in Organisationsentwicklung, fundiertem Wissen aus Soziologie und Systemtheorie – und der gelebten Haltung, Organisationen als Systeme zu denken, nicht als Summe ihrer Mitarbeitenden.

ℹ️ Mehr Informationen zum Seminar, zur Anmeldung und zu den Inhalten findest du hier:

👉 https://www.die-agilen.de/okr/col

7. Schlusswort

Psychologisierende Ansätze erscheinen oft menschlicher, nahbarer, intuitiver. Doch in ihrer Wirkung bleiben sie meist an der Oberfläche. Systemisches Denken hingegen fordert uns heraus – aber es ermächtigt uns auch, Organisationen so zu verändern, wie sie wirklich funktionieren: über Kommunikation, Entscheidungsstrukturen und Irritation.

Oder, um es mit Luhmann zu sagen:

„Man kann Menschen nicht motivieren – man kann nur Bedingungen erzeugen, unter denen Motivation möglich wird.“

Wenn du bereit bist, nicht am Menschen, sondern an der Organisation selbst zu arbeiten – dann ist systemisches Denken, gepaart mit einem durchdachten OKR-Ansatz, der nachhaltigere Weg.

💡 Tipp: Wenn dich das Thema interessiert oder du selbst systemischer wirken möchtest, dann ist unser Certified OKR Leader (COL) ein sehr guter nächster Schritt. → Mehr dazu

Literatur

  • Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme. Suhrkamp.
  • Kühl, S. (2019). Ganz normale Organisationen. transcript.
  • Simon, F. B. (2001). Einführung in die systemische Organisationstheorie. Carl-Auer.
  • Beck, D., & Cowan, C. (1996). Spiral Dynamics. Blackwell.
  • Hersey, P., & Blanchard, K. H. (1969). Management of Organizational Behavior. Prentice Hall.
  • Dweck, C. (2006). Mindset. Random House.
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