Ihr kennt das: Man setzt sich Ziele, misst Zahlen und denkt, damit wäre alles klar. Doch genau da lauert die Falle.
Wir wollen heute mit Euch durchgehen, warum Metriken zwar nützlich sind – aber zugleich gefährlich werden können, wenn wir nicht smart sind. Und wie das im Rahmen von OKRs aussieht – konkret, praxisbezogen und mit wissenschaftlichem Rückgrat.
Metriken als Fokussierer – und ihre Schattenseite
Der Zweck einer Metrik ist: Aufmerksamkeit zu fokussieren.
Und darin liegt zugleich ihre grösste Gefahr.
Sobald wir etwas messen, wird es sichtbar – und zieht Fokus und Ressourcen weg von dem, was wir nicht messen.
Das ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer systemischen Logik:
Organisationen sind nach Niklas Luhmann soziale Systeme, die durch Kommunikation operieren. Was nicht kommuniziert wird, existiert im System nicht.
Messung ist also eine Form von Kommunikation – sie entscheidet, worüber gesprochen, berichtet und entschieden wird.
Oder anders gesagt:
- Was wir messen, wird Teil der organisationalen Realität.
- Was wir nicht messen, verschwindet aus dem Bewusstsein.
Diese Dynamik erzeugt blinde Flecken:
Wir richten das Beobachtungssystem auf Zahlen – und verlieren die Qualität, den Kontext und die Beziehung aus dem Blick.
Groth & Richter (2022) nennen das „strukturelle Entkopplung“: Die Organisation handelt rational nach ihren Metriken, auch wenn diese mit dem eigentlichen Zweck wenig zu tun haben (Wirksam führen mit Systemtheorie).
Output vs. Outcome – systemisch betrachtet
Die Unterscheidung von Output und Outcome ist nicht nur semantisch, sondern strukturell.
Sie beschreibt zwei unterschiedliche Ebenen der Systembeobachtung:
- Output = interne Prozesslogik. Das System beobachtet seine eigenen Aktivitäten.
Beispiel: „Wir haben 20 Features ausgeliefert.“ - Outcome = externe Wirkungslogik. Das System beobachtet seine Umweltbeziehung.
Beispiel: „Unsere Nutzer:innen bleiben 30 % länger aktiv, weil das Produkt nützlicher geworden ist.“
Luhmann würde sagen: Output ist Selbstbeschreibung, Outcome ist Fremdbeschreibung. Organisationen, die sich nur auf Outputs konzentrieren, verengen ihre Wahrnehmung auf das, was intern zählbar ist. Sie verlieren Resonanzfähigkeit mit ihrer Umwelt – also genau das, was Sinn und Anpassungsfähigkeit ermöglicht.
Richter & Groth betonen:
„Wirksamkeit entsteht dort, wo Organisationen die Wechselwirkung zwischen ihrem Handeln (Output) und der Umweltreaktion (Outcome) bewusst reflektieren.“ (Wirksam führen mit Systemtheorie, 2022, S. 112)
OKRs sind genau an dieser Schnittstelle positioniert:
Sie schaffen Strukturen, die Selbstbeobachtung (Output) und Umweltbeobachtung (Outcome) verbinden.
Doch sobald Key Results nur noch operative Zahlen sind, wird das System selbstreferenziell – es steuert sich nach sich selbst, nicht nach Wirkung.
Warum Metriken Verhalten formen
In systemischer Sprache sind Metriken „Kommunikationsstrukturen mit Entscheidungsrelevanz“.
Sie erzeugen Erwartungen, stabilisieren Verhalten und legitimieren Entscheidungen.
Das klingt abstrakt, ist aber konkret:
- Wenn das System nur Zahlen bewertet, wird Verhalten an Zahlen angepasst.
- Wenn das System Wirkung bewertet, entsteht Raum für Reflexion, Lernen und Sinnkopplung.
Hier greift auch Goodhart’s Law („When a measure becomes a target, it ceases to be a good measure“).
Aus systemtheoretischer Sicht ist das kein Fehler, sondern eine logische Folge von struktureller Kopplung zwischen Messung und Verhalten.
Darum: Jedes OKR ist eine Intervention in die Kommunikationsstruktur einer Organisation.
Was dort als „erfolgreich“ gilt, verändert, was beobachtet, entschieden und getan wird.
Vom Steuerungsinstrument zum Beobachtungsinstrument
In klassischer Managementlogik ist Messen = Steuern.
In systemtheoretischer Logik ist Messen = Beobachten.
Das ist ein fundamentaler Unterschied.
Wenn wir OKRs systemisch denken, dann geht es nicht darum, die Organisation linear zu steuern, sondern darum, ihre Beobachtungsfähigkeit zu verbessern.
OKRs werden dann zu einem Lernsystem:
- Teams formulieren Annahmen über Wirkung.
- Sie beobachten, ob diese Wirkung eintritt.
- Sie reflektieren und passen ihr Handeln an.
Genau hier liegt die Stärke des OKR-Zyklus:
Nicht Kontrolle, sondern zweite Ordnung der Beobachtung – also die Beobachtung der eigenen Beobachtungen.
Oder mit Groth & Richter:
„Führung ist nicht das Steuern von Menschen, sondern das Gestalten von Beobachtungs- und Entscheidungsräumen.“ (Wirksam führen mit Systemtheorie, 2022, S. 59)
Praktische Implikationen
- OKRs als Reflexionsinstrument nutzen
– Nicht nur: „Wie viel haben wir erreicht?“
– Sondern: „Was haben wir gelernt über Wirkung und Umwelt?“ - Metriken als Kommunikationsstrukturen verstehen
– Jede Metrik entscheidet, worüber geredet wird – und worüber nicht.
– Bewusst unmessbare Themen im Dialog halten (z. B. Vertrauen, Kooperation, Kultur). - Outcome-orientierte Führung kultivieren
– Fokus auf Sinn, Wirkung und Resonanz statt reine Aktivität.
– Führung als Ermöglichung von Beobachtung verstehen, nicht als Steuerung von Verhalten.
OKR-Beispiele mit Fokus auf Outcome (nicht nur Output)
Damit das nicht abstrakt bleibt, hier einige konkrete Beispiele – so könnt Ihr gleich mitdenken und reflektieren:
Beispiel 1: Kundenzufriedenheit im Support
- Objective: „Wir begeistern unsere Kund:innen mit einem erstklassigen Support-Erlebnis.“
- Output-Key Results:
- „Veröffentlichen von 3 neuen Support-Artikeln pro Woche.“
- „Durchschnittliche Antwortzeit im Chat unter 5 Minuten.“
- Outcome-Key Results:
- „90 % der Kund:innen bewerten den Support mit ≥ 4,8/5.“
- „Die Rate wiederkehrender Support-Tickets sinkt um 30 % innerhalb von Q3.“
- Der Output ist zwar messbar, aber liefert nicht zwangsläufig die Wirkung. Die Outcome-KRs zeigen echte Wirkung.
Beispiel 2: App-Nutzungserlebnis
- Objective: „Unsere App bietet ein herausragendes Nutzungserlebnis.“
- Output-KRs:
- „Ladezeit unter 1,5 Sekunden.“
- „Crash-Rate < 0,1 %.“
- Outcome-KRs:
- „Mindestens 75 % der Nutzer:innen erreichen erfolgreich das Onboarding in unter 3 Minuten.“
- „App-Store-Bewertung erreicht 4,7+ und bleibt dort 3 Monate.“
- Die technischen Metriken sind wichtig, aber erst die Outcome-Metriken zeigen, ob Nutzer:innen tatsächlich zufrieden sind und bleiben.
Beispiel 3: Innovationskultur im Team
- Objective: „Wir stärken eine Innovations- und Lernkultur im Entwicklungsteam.“
- Output-KRs:
- „Durchführung von 2 Innovation Sprints / Quartal.“
- „80 % der Teammitglieder nehmen an Fortbildungen teil.“
- Outcome-KRs:
- „Mindestens 1 Produktidee pro Quartal wird zur Marktreife geführt.“
- „Teamzufriedenheitswert steigt um 15 % im Jahresvergleich.“
- Outputs sind hier Prozesszahlen. Outcomes sind Wirkung – Innovation wird real, Team-Kultur verbessert sich.
Warum Fokus auf Outcomes Kulturen verändern kann
Wenn Organisationen konsequent Outcomes statt Outputs in den Mittelpunkt stellen, verändert das nicht nur Ziele – sondern wie gearbeitet wird.
Einige wichtige Effekte:
- Mitarbeiter:innen verstehen besser das Warum hinter dem Ziel.
- Fokus verschiebt sich von „viel machen“ zu „richtig machen“.
- Reporting-Kultur wird analytischer: Nicht nur „wie viele?“ sondern „welche Wirkung?“
- Risiko von Fehlanreizen sinkt – z. B. das blinde Hochfahren von Zahlen, ohne Wirkung.
Die Forschung zeigt: Performance Measurement Systems haben starke Verhaltensfolgen. Bourne et al. erläutern, dass viele Systeme zwar eingesetzt werden – aber deren Einfluss auf Verhalten und Leistung noch wenig theorisiert ist.
Und Goodhart’s Law („Wenn eine Messung zum Ziel wird, hört sie auf, eine gute Messung zu sein“) gilt hier sofort.
Umsetzungstipps für Eure OKR-Praxis
Damit Ihr nicht nur gut versteht – sondern gut handelt – hier unsere Empfehlungen:
- Objective klar formulieren: Was ist die Veränderung, die wir wollen – nicht nur das Ergebnis einer Aktivität.
- KR-Auswahl kritisch prüfen:
- Frage: „Wenn dieser Wert sich verändert – welche Entscheidung treffen wir anders?“
- Frage: „Ist das KR ein Output oder ein Outcome?“
- Wenn mehrheitlich Output: Überdenken.
- Dashboard-Kultur reflektieren:
- Welche Metriken berichten wir – und was zeigen sie wirklich?
- Haben wir Metriken, die Verhalten verzerren, statt Wirkung fördern?
- Unbeobachtbare Wirkung würdigen:
- Nicht alles, was zählt, lässt sich leicht messen.
- Anerkennung für jene, die Wirkung erzeugen, auch wenn sie nicht im Dashboard erscheinen.
- Kontinuierlich lernen & anpassen:
- Feedback-Schleifen einbauen: „Führt die gemessene Wirkung zu unserem Objective?“
- Wenn nicht: KR anpassen oder Outcome neu formulieren.
Fazit
Die Frage „Output oder Outcome?“ ist kein methodischer Nebenaspekt, sondern eine systemische Grundsatzentscheidung:
Wollen wir unser System an seinen eigenen Aktivitäten orientieren – oder an seiner Wirkung in der Umwelt?
OKRs sind dann nicht einfach ein Tool, sondern ein Spiegel für die Art, wie eine Organisation sich selbst beobachtet.
Wenn wir sie bewusst als Beobachtungs- und Lerninstrument einsetzen, können sie genau das leisten, was Luhmann „Selbststeuerung durch Beobachtung“ nennt – und was Groth & Richter als „wirksame Führung durch Sinnkopplung“ beschreiben.
Literaturverweise
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- Goodhart, C. A. E. (1975). Problems of monetary management: The UK experience. In Papers in Monetary Economics (Vol. 1, pp. 1–20). Reserve Bank of Australia. (Reprinted in Goodhart, C. A. E. (1984). Monetary theory and practice: The UK experience. London: Macmillan/Palgrave.)
- Luhmann, N. (1984). Soziale Systeme: Grundriß einer allgemeinen Theorie. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
- Mills-Scofield, D. (2012, November 26). It’s not just semantics: Managing outcomes vs. outputs. Harvard Business Review. https://hbr.org/2012/11/its-not-just-semantics-managing-outcomes
- Richter, T., & Groth, T. (2025). Wirksam führen mit Systemtheorie: Kernideen für die Praxis (2. Aufl.). Heidelberg: Carl-Auer Verlag. (ISBN 978-3-8497-0593-0)
- Hinweis: Falls ihr bewusst die Erstauflage zitieren wollt, gebt entsprechend das Jahr/ISBN der 1. Auflage an; der Verlag bleibt Carl-Auer.
- Simon, F. B. (2007). Einführung in die systemische Organisationstheorie. Heidelberg: Auer/Carl-Auer. (1. Aufl.; spätere Nachdrucke/Compact-Ausgaben 2015 ff.).
- Skoczylas, W., & Waśniewski, P. (2017). Behavioral aspects of performance measurement systems in enterprises. In K. Nermend & M. Łatuszyńska (Eds.), Neuroeconomic and Behavioral Aspects of Decision Making (pp. 185–200). Springer, Cham. https://doi.org/10.1007/978-3-319-62938-4_12
- Forbes Business Council. (2022, February 15). The danger of metrics and how to reframe an organizational culture. Forbes. https://www.forbes.com/councils/forbesbusinesscouncil/2022/02/15/the-danger-of-metrics-and-how-to-reframe-an-organizational-culture/

