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OKR ist tot! Hoch lebe AOA, Big Goals, CFR, OGSM, Hoshin Kanri, 4DX, BSC...

Veröffentlicht am
4.10.2024

Nahezu jeden Tag wird OKR zu Grabe getragen und eine neue (oder gar nicht mehr so neue) Methodik als der legitime und viel bessere Nachfolger propagiert. Warum das so ist und was die Gründe dafür sind - das wollen wir uns in diesem Artikel einmal näher ansehen.

Der Wunsch nach Alternativen

Die Diskussion um neue Ansätze wie AOA, Micro OKRs, Hoshin Kanri oder OGSM nimmt stetig zu, weil viele Unternehmen das Gefühl haben, dass OKRs die immer komplexer werdenden Herausforderungen nicht mehr vollständig adressieren können. Häufig hören wir von Implementierungsproblemen, mangelnder Flexibilität, bestehenden Dysfunktionalitäten trotz OKR, niedriger Zielereichung trotz oder wegen OKR oder generell Missverständnissen in der Anwendung von OKRs. Unternehmen suchen deshalb nach etwas Neuem, etwas „Besserem“, das einfacher oder dynamischer wirkt. All diese Probleme kommen von einem falschen bzw. oberflächlichem Verständnis von OKR.

Doch sind diese Alternativen wirklich besser?

 

Was sind die Alternativen?

Schauen wir uns zunächst einmal einige der Alternativen an:

  • Die Art of Acceleration (AOA) ist ein proprietärer Ansatz von Growth Square zur Strategieumsetzung, der auf einen menschenzentrierten Ansatz setzt. AOA zielt darauf ab, strategische Ziele mit den täglichen Aktivitäten zu verknüpfen und durch schnelle Entscheidungsfindung sowie intrinsische Motivation den Unternehmenserfolg in dynamischen Umgebungen zu fördern.
  • CFR (Conversations, Feedback, Recognition) ist ein menschenzentrierter Ansatz zur Mitarbeiterführung, der darauf abzielt, kontinuierliche Kommunikation und Feedback zu fördern. Durch regelmäßige Gespräche, unmittelbares Feedback und Anerkennung für gute Leistungen wird eine offene Unternehmenskultur geschaffen, die den Fokus auf die Entwicklung und Motivation der Mitarbeiter legt, anstatt nur auf das Erreichen von Kennzahlen.
  • OGSM (Objectives, Goals, Strategies, Measures) ist ein Framework zur strategischen Planung, das darauf abzielt, klare und umsetzbare Ziele zu definieren. Es verbindet langfristige Unternehmensziele (Objectives) mit messbaren Maßnahmen (Measures) und fokussiert sich darauf, wie diese durch konkrete Strategien (Strategies) erreicht werden können, wobei der Prozess schrittweise überwacht wird, um den Fortschritt zu sichern.
  • Die 4 Disciplines of Execution (4DX) ist ein Framework, das von Franklin Covey entwickelt wurde, um Unternehmen dabei zu unterstützen, ihre wichtigsten strategischen Ziele zu erreichen. Es konzentriert sich auf die Identifizierung und Verfolgung von Wildly Important Goals (WIGs) und verwendet Disziplinen wie Fokussierung auf das Wesentliche, das Schaffen von Führungskennzahlen, ein einheitliches Scoreboard und eine Kultur der Verantwortlichkeit.
  • Big Goals ist ein Zielsetzungsansatz, der auf die Definition von ambitionierten, herausfordernden Zielen abzielt, die Unternehmen und Einzelpersonen motivieren sollen, über das Alltägliche hinauszugehen. Durch die Fokussierung auf größere, bedeutendere Ziele wird versucht, das Potenzial voll auszuschöpfen und außergewöhnliche Ergebnisse zu erzielen, wobei klare Maßnahmen und Verantwortung eine zentrale Rolle spielen.
  • Hoshin Kanri ist ein japanisches Management-Framework zur langfristigen strategischen Planung und Umsetzung. Es verbindet die übergeordneten Unternehmensziele mit den täglichen Aktivitäten und stellt sicher, dass die gesamte Organisation in eine gemeinsame Richtung arbeitet, indem es klare Prioritäten setzt und Fortschritte kontinuierlich überwacht und angepasst werden.
  • Die Balanced Scorecard (BSC) ist einstrategisches Management-Framework, das darauf abzielt, die Leistung eines Unternehmens aus vier Perspektiven zu messen: Finanzen, Kunden, interne Prozesse sowie Lernen und Wachstum. Es dient dazu, strategische Ziele in konkrete Maßnahmen zu übersetzen und diese durch ausgewogene Leistungskennzahlen (KPIs) zu überwachen, um sicherzustellen, dass alleBereiche des Unternehmens zur langfristigen Strategie beitragen.
  • Micro OKRs sind eine spezialisierte Anwendung des OKR-Frameworks, die auf kleinere Teams oder sogar einzelne Mitarbeiter zugeschnitten ist. Anstatt große, unternehmensweite Ziele zu setzen, konzentrieren sich Micro OKRs auf kurzfristige, operative Ziele, die in einem engen Zeitrahmen (z. B. wöchentlich oder monatlich) verfolgt werden. Sie sollen Teams agiler und flexibler machen, indem sie schnell auf Veränderungen reagieren und kontinuierlich Fortschritte messen können. Micro OKRs bieten damit mehr Anpassungsfähigkeit und fördern eine fokussierte Umsetzung der wichtigsten Aufgaben in kurzen Zyklen.

 

Die Fallstricke neuer Methoden 

Viele der neuen und wiederentdeckten Methoden, wie AOA oder Hoshin Kanri, setzen vermeintlich auf Flexibilität, stärkeren Mitarbeiterfokus und einen integrativen Ansatz, was zweifellos ihre Stärken sein könnten. Allerdings zeigen sich auch hier typische Herausforderungen: Unklare Zielsetzungen, mangelnde Fokussierung auf messbare Resultate, mechanistische Zielkaskadierung, Personenzentrierter Ansatz und damit einhergehend mangelnde Emergenz und die Gefahr, dass der Prozess in der Praxis verwässert wird. Diese Methoden verfehlen oft die Balance zwischen ambitionierten Visionen und realistischen, messbaren Ergebnissen.

Bei einigen der Methoden muss man auch konstatieren, dass sie von einer Firma als „Eigenleistung“ insofern vorangetrieben werden, wie es etwa bei Diät-Büchern oder Management-Ratgebern der Fall ist. Alle anderen sind schlecht, nur unser Ansatz ist der einzig Wahre und natürlich haben wir nicht nur die Markenrechte dafür, sondern auch alle Leistungen (Methode, Software und Coaching) aus einer Hand. Bereits hier sollte man hellhörig werden.

Selbst die Bezeichnung „Methode“ gehört zu einem Blick auf Organisationen, der seit Jahrzehnten nicht mehr der Wirklichkeit entspricht, das sich das Umfeld radikal geändert hat.

Zudem bedienen viele der Methoden eine alte Sehnsucht des Managements: Endlich wieder Kontrolle und Steuerungsmöglichkeiten zu erlangen. Oftmals geschieht dies mit der vermeintlich logischen Schlussfolgerung, dass die Menschenzentrierung die Lösung sei, denn woran sonst, wenn nicht am Menschen (Mitarbeiter), sollten die Probleme der Organisation liegen? 

 

Auf welches Umfeld treffen all die Methoden?

Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Wirtschaft in den letzten Jahrzehnten deutlich komplexer und dynamischer geworden ist. Will eine Organisation die Zukunft gestalten, muss es sich so organisieren, indem man diese Komplexität und Dynamik auch adäquat adressiert. Dafür kommt man nicht umhin, die Organisation als lebendiges System – oder auch bekannter - als soziales System mit Eigenlogik jenseits der Menschen zu begreifen. Die zugrundeliegende Theorie hierfür ist die Allgemeine Systemtheorie, die deskriptiv die Dynamiken eines komplexen sozialen Systems beschreibt. Einige der unmittelbaren Folgen daraus, ist beispielsweise, dass das maschinelle Denken – wenn es um erfolgreiche Bewältigung der Zukunft geht – mehr als hinderlich und in vielen Bereichen sogar schädlich ist. Insbesondere ist dies die Steuerungsillusion (z.B. über Kennzahlen), das Performance Management (da Performance eine emergente Leistung des Systems ist), das Management von Ressourcen, die fachliche Differenzierung, die vermeintliche Möglichkeit zur Planung der Zukunft, das Zusammenlegen von Strategie und Tagesgeschäft, die Trennung von Strategieentwicklung und Strategieumsetzung, das Denken in TopDown und BottomUp, Management als Konzept, transaktionale Führung (und auch in Teilen die transformative Führung), Vorgaben und Kontrolle, Delegation, extrinsische Motivation, Kaskadierung (z.B. von Zielen), strikte Kopplung, u.v.a.m.  

 

 

OKR: Das einzige systemtheoretische Framework

 

Hier sticht OKR besonders heraus. Was viele nicht wissen: OKR ist das einzige Framework (und eben keine Methode), das auf systemtheoretischen Prinzipien basiert. In der Systemtheorie geht es darum, komplexe, dynamische Systeme zu verstehen und zu steuern (im Sinne der Kybernetik).

OKR greift diese Paradigmen auf, indem es unter anderem:

  1. den Fokus auf Kommunikation legt (und nicht auf den Menschen): Dies ist der basale Operationsmodus von Organisationen und der einzige Hebel um wirkungsvoll zu irritieren. OKR sorgt dafür, dass Kommunikation anschlußfähig bleibt und so z.B. die Strategie eines Unternehmens nicht nur durch dieses selbst föderativ, inkrementell und vor allem iterativ entwickelt, sondern auch durch alle umgesetzt und validiert wird. Dies hochvernetzt und maximal dynamisch.
  2. Ziele und Ergebnisse klar trennt: Ziele (Objectives) geben die Richtung an, während Key Results als Indikatoren zur Messung der Fortschritte über Hypothesenvalidierung (Outcomes) dienen. Diese Trennung ist ein zentraler systemtheoretischer Ansatz, da sie Komplexität (sinnvoll und wirksam) reduziert und Klarheit schafft.
  3. Selbststeuerung und Anpassungsfähigkeit fördert: OKR ist so gestaltet, dass Teams eigenständig Ziele setzen und ihre Fortschritte regelmäßig überprüfen. Das Konzept der regelmäßigen Reviews und Retrospektiven und der ineinandergreifenden Zyklen von langer, mittlerer und kurzer Dauer bietet die Flexibilität, die notwendig ist, um in einem dynamischen Umfeld agil zu bleiben. Dies ermöglicht eine kontinuierliche Anpassung des Systems, was der Kern der Systemtheorie ist.
  4. Vernetzung innerhalb des Unternehmens unterstützt: Die Transparenz und Offenheit von OKR sorgt dafür, dass alle Abteilungen und Teams ihre Ziele kennen und miteinander vernetzt sind. Diese ganzheitliche Sichtweise entspricht dem systemtheoretischen Paradigma, das die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Teilen eines Systems betont.
  5. die Organisation entlastet: Dadurch, dass nur diejenige miteinander kommunizieren und auch nur zu Zeitpunkten, wo dies sinnvoll ist, wird zwar einerseits die Komplexität in der Organisation erhöht (dies ist notwendig, um die Komplexität im Außen auch adäquat zu bearbeiten) und gleichzeitig die Kommunikations-Belastung drastisch senkt.
  6. das Tagesgeschäft von der Strategie trennt: Aus systemtheoretischer Sicht ist es sinnvoll, in Organisationen das Tagesgeschäft von der Strategie zu trennen, da beide unterschiedliche Systemebenen darstellen, die unterschiedlich gesteuert und behandelt werden müssen, insbesondere da folgende Merkmale bei Tagesgeschäft und Strategie unterschiedlich sind: Unterschiedliche Zeithorizonte, Komplexität & Fokus, unterschiedliche Mechanismen zur der Steuerung, Sicherstellung der organisatorischen Anpassungsfähigkeit, Vernetzungsgrad.
  7. lediglich komplexe Inhalte hat (und keine komplizierten): Genau aus diesem Grund werden Themen, die eine feste Ursache-Wirkungskette haben, nicht in OKR integriert, z.B. Projektmanagement, delegierte Ziele, KPIs, Tagesgeschäft, ...
  8. den Kunden radikal ins Zentrum stellt: Jedes Element in OKR ist outcome-orientiert, was bedeutet, dass wir das geänderte Verhalten unserer Umwelt (sprich unserer Kunden), welches unserem Geschäft positiv zuträglich ist, zur eigenen Handlungsmaxime erheben. Nur dadurch ist gewährleistet, das unser soziales System enger an das System der Kunden gekoppelt wird. Das Ergebnis ist erhöhte Kundenzentrierung bei steigendem Erfolg und sinkenden Kosten.

  

OKR als das optimale Werkzeug in einer komplexen Welt

Die systemtheoretische Grundlage von OKR macht es besonders geeignet für moderne Organisationen, die sich in einer VUCA-Welt (Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) behaupten müssen. Durch die Kombination aus klaren Zielen, messbaren Ergebnissen, validierten Hypothesen und der Flexibilität zur kontinuierlichen Anpassung bietet OKR genau das, was Unternehmen in einer sich schnell wandelnden, komplexen Welt benötigen. Keine andere Methode schafft es, die Prinzipien der Systemtheorie so konsequent umzusetzen, um die Komplexität zu beherrschen und gleichzeitig praktikabel zu bleiben.

Dies - allerdings - gelingt nur, wenn das OKR-System individuell in jede Organisation eingepasst wird und sich auch mit deren Veränderung weiterentwickelt.

Eine Herausforderung: Es gibt nicht DAS OKR

Im Gegensatz zu Methoden oder Vorgehensmodellen wie Scrum, gibt es keinen einheitlichen OKR-Guide, dem alle folgen würden. So muss sich jeder, der sich mit OKR beschäftigen will, seine oder ihre eigenen Gedanken zur Wirksamkeit machen. Dafür allerdings benötigt man fundiertes Wissen darüber, wie Psychen und soziale Systeme funktionieren. Das wiederum verlangt eine Beschäftigung mit Psychologie, Soziologie, Kybernetik und Gruppendynamik, um nur einige der Disziplinen zu nennen. Würde man dies übereinanderlegen, kommt man früher oder später zu einem sehr ähnlichen Ansatz, denn OKR ist weder Dogma noch Religion, sondern schlicht heuristisch wirksame Praxis, wie sich soziale Systeme unter hoher Komplexität verhalten. Leider ist dieses Wissen weder in Organisationen, noch bei Beratern oder Experten weit verbreitet, wodurch es teilweise bis gänzlich unwirksame Interpretationen von OKR gibt. Das - allerdings - ist aber nicht der Fehler von OKR.

Fazit: OKR – Die Wahl für dieZukunft

Während es verlockend ist, sich von neuen Frameworks wie AOA oder OGSM ablenken zu lassen, bleibt OKR – wenn richtig verstanden und umgesetzt – das vielleicht einzige System, das den systemtheoretischen Herausforderungen unserer Zeit wirklich gerecht wird. OKR kombiniert ambitionierte Ziele mit messbaren Ergebnissen, fördert die Selbststeuerung und bietet die notwendige Flexibilität, um in einer dynamischen Welt auf Kurs zu bleiben.

 

Die Schlussfolgerung ist klar: OKR ist nicht tot. Es ist vielmehr der Schlüssel, um in einer komplexen Welt den Überblick zu behalten und Erfolg zu sichern. Hoch lebe OKR! ;-)

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