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Warum es im OKR keine Owner geben sollte – und was das mit Emergenz zu tun hat

Veröffentlicht am
13.11.2025

Einleitung: Warum die Frage verständlich – aber falsch gestellt ist

In einer E-Mail erhielt ich kürzlich folgende Frage:

„Ich suche in euren Unterlagen nach der Rolle und den Aufgaben des OKR Owners. Im Netz finde ich einiges dazu – teilweise mit viel Verantwortung und Entscheidungsmacht. Wie passt das zusammen?“

Die kurze Antwort lautet:

Gar nicht. Es gibt keinen OKR Owner. Und es darf auch keinen geben.

Die lange Antwort – und darum geht’s in diesem Artikel – hat mit Emergenz, Teamarbeit und dem wissenschaftlichen Verständnis komplexer Systeme zu tun.

1. OKR lebt von Emergenz – und Emergenz entsteht nur im Team

Sobald wir verstanden haben, dass OKR ausschließlich die rote, komplexe Welt adressiert, wird vieles klarer.

Komplexe Probleme lassen sich nicht durch einzelne Held:innen lösen – sondern durch die Interaktion vieler.
Das ist kein agiles Wunschdenken, sondern solide wissenschaftlich unterfüttert:

  • Komplexität bedeutet Unvorhersehbarkeit und fehlende Kausalität. Lösungen entstehen im Prozess, nicht durch vorherige Planung.
    → vgl. Unterscheidung „kompliziert vs. komplex“ nach Wohland in OKR kurz & klar, S. 10–14  
  • Kreativität, Ideen und Problemlösungen entstehen immer im Kollektiv – nie in Einzelpersonen.
    → vgl. Prinzip der Team-Orientierung und Selbstorganisation, OKR kurz & klar, S. 20–21, 29–30  
  • Dynamisch-robuste Höchstleistung entsteht ausschließlich durch lose Kopplung und gegenseitige Beeinflussung (top-down und bottom-up) – nicht durch Delegation und individuelle Verantwortung.
    → vgl. Loosely Coupled Prinzip, OKR kurz & klar, S. 32–34  

Kurz:

Komplexität fordert Emergenz – Emergenz fordert Teamarbeit – Teamarbeit verbietet Einzel-Owner.

2. Warum Owner-Modelle Emergenz verhindern

Viele Managementansätze kommen aus der „blauen“, komplizierten Welt. Dort gilt:

  • jemand ist verantwortlich,
  • jemand trifft Entscheidungen,
  • jemand berichtet über Fortschritt.

Für eine Fertigungsstraße ist das perfekt.

Für komplexe Wertschöpfung jedoch fatal.

Wenn Du einen Moal Owner, Objective Owner oder Key Result Owner definierst, passiert Folgendes:

a) Fokus verengt sich auf das “Eigene”

Der Owner schaut auf „sein“ Key Result, statt auf das gemeinsame Ziel.

Team-Mechaniken wie Swarming, kollektive Priorisierung oder emergente Lösungsentwicklung brechen sofort zusammen.

b) Die Verantwortung verschiebt sich vom Team zur Einzelperson

Damit widersprichst Du dem zentralen Wirkprinzip von OKR:

„Teams arbeiten autonom und selbstorganisiert an ihren OKR.“

c) Kreativität nimmt messbar ab

Psychologisch sauber belegt (u. a. durch Deci & Ryan, 1985):

Sobald Verantwortung extrinsisch zugewiesen wird („Du bist dafür verantwortlich“), sinkt die intrinsische Motivation der anderen.

Und OKR basiert vollständig auf Autonomy, Mastery & Purpose (nach Daniel Pink).

d) Das System kippt in Delegation statt Selbstorganisation

Delegation gehört zur blauen Welt und ist im OKR explizit ausgeschlossen.

„Es kann keine delegierten Ziele geben.“

3. Ein Owner macht OKR unwirksam, weil er das System in Blau zieht

Im OKR Praxisbuch wird die Blau-Rot-Logik noch einmal klar dargestellt:

→ Blau = kausal, planbar, delegierbar

→ Rot = komplex, emergent, kollaborativ

(OKR Praxisbuch, Rot-vs-Blau Seiten)  

Ein einziger Owner zieht das gesamte System in die blaue Welt:

Mit Owner Ohne Owner
Delegation Selbstorganisation
Individuelle Ziele Team-OKR
Verantwortungszuweisung Commitment
Kontrolle Vertrauen & Transparenz
Silos Swarming
Output-Fokus Outcome-Fokus

Das Ergebnis ist vorhersehbar:

OKR verliert seine Wirksamkeit.

4. Was stattdessen gilt: Ein OKR gehört immer dem Team

Die OKR-Literatur ist an dieser Stelle eindeutig:

  • „Jedes OKR gehört der Gruppe, die es vereinbart hat.“ (OKR kurz & klar, S. 33  )
  • „Die letzte Ebene sind immer Team-OKR, niemals individuelle OKR.“ (OKR kurz & klar, S. 21  )
  • Swarming, gemeinsame Hypothesenbildung, Drafting-Phase, Weeklys – alle Prozessschritte sind bewusst teamzentriert aufgebaut. (siehe z. B. OKR-Planning-Poster und Moderationskapitel im Praxisbuch)

Das heißt:

Das Team formuliert gemeinsam.

Das Team commitet sich gemeinsam.

Das Team lernt gemeinsam.

Das Team verantwortet gemeinsam.

5. Und was ist mit Rollen wie OKR Master oder OKR Leader?

Gute Frage – und hier liegt oft der Denkfehler:

  • Der OKR Master begleitet den Prozess, nicht die Inhalte.
  • Der OKR Leader verantwortet die Orientierung (wie Vision & Purpose, HED, MED, Moal), "ownt" diese aber nicht.

Die eine Rollen facilitiert, die andere orientiert, aber beide ownen nichts.

Das ist ein fundamentaler Unterschied – und das, was viele Blogartikel übersehen (besonders jene, die “OKR Owner” promoten).

6. Warum das Internet trotzdem von „OKR Ownern“ spricht

Ganz einfach:

  • Viele Quellen basieren auf alten MbO-Konzepten.
  • Andere basieren auf skalierten Systemen wie SAFe, die Delegation benötigen, um stabil zu funktionieren.
  • Viele OKR Beratungen haben nicht die wissenschaftliche Fundierung, die es benötigt, um komplexe, soziale Systeme zu verstehen.
  • Wieder andere sind SEO-optimierte Coaching-Artikel ohne wissenschaftlichen Unterbau.

OKR im Sinne von Grove, Doerr und vor allem der Weiterentwicklung im europäischen Raum (u. a. durch die.agilen) ist jedoch klar:

❌ Kein Moal Owner

❌ Kein Objective Owner

❌ Kein Key Result Owner

❌ Kein OKR Owner

✅ Ein Team.

✅ Ein gemeinsames Commitment.

✅ Ein emergentes Vorgehen.

7. Fazit: OKR Owner klingt gut – zerstört aber das, was OKR wirksam macht

Wenn Du OKR wirklich nutzen willst – nicht nur als Zielsystem, sondern als agiles Betriebssystem für komplexe Strategiearbeit – dann führt kein Weg daran vorbei:

➡️ Nur Teams können komplexe Probleme lösen.

➡️ Nur Teams können emergentes Verhalten erzeugen.

➡️ Nur Teams können Outcome-Hypothesen validieren.

➡️ Nur Teams können OKR ownen.

Ein Owner wäre ein Rückfall in altes Systemdenken – und damit der Anfang vom Ende wirksamer OKR.

8. Und die Antwort auf die E-Mail?

„Du findest keinen OKR Owner in unseren Unterlagen, weil es diese Rolle im OKR nicht gibt – und nicht geben darf. OKR funktioniert nur, wenn Teams gemeinsam Verantwortung übernehmen und emergent Lösungen entwickeln. Jede Form von Einzelverantwortung zerstört diesen Mechanismus.“

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